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Habt ihr euch schon mal ein Bein gebrochen und standet vor einer großen Treppe? Ohne Aufzug in Sicht? Oder habt ihr schon mal Eltern beobachtet, die auf einem Arm ein Kind halten, mit dem anderen versuchen, Taschen zu jonglieren und gleichzeitig die Autotür zu öffnen? Viele denken, Barrierefreiheit sei nur etwas für Menschen mit Behinderung. Dabei kennen wir alle Situationen, in denen wir auf Hürden stoßen. Deshalb beschäftigen wir uns heute mit dem Thema „Barrierefreie Zahnarztpraxis“: ein Thema, das uns am Ende doch irgendwie alle angeht.

Jeder kennt Barrieren

 

Barrieren sind nicht immer sichtbar – aber immer spürbar. Deshalb sollte es so sein, dass sie nicht da sind. Für viele eurer Patienten* sind die oben genannten Situationen keine Ausnahme. Sie sind Teil ihres Alltags. Menschen mit Geh-, Seh- oder Hörbehinderungen haben das gleiche Recht auf zahnärztliche Versorgung wie alle anderen. Die Realität sieht leider oft anders aus.

Eine barrierefreie Zahnarztpraxis bedeutet: Alle können rein, alle finden sich zurecht, alle werden verstanden. Und das betrifft längst nicht nur diejenigen mit Behinderung, sondern auch die wachsende Zahl älterer Patienten sowie Eltern mit Kleinkindern oder Menschen mit eingeschränkten Sprachkenntnissen.

Was bedeutet Barrierefreiheit konkret?

 

Mit Barrierefreiheit ist nicht einfach nur ein stufenloser Eingang gemeint. Sie betrifft jeden Schritt, den ein Patient in eurer Praxis macht: vom ersten Kontakt über die Behandlung bis hin zur Terminbestätigung. Laut § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes müssen bauliche Anlagen, Informationssysteme und Kommunikationswege so gestaltet sein, dass Menschen mit Behinderung sie auf die übliche Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzen können. Das klingt erst mal kompliziert, ist es allerdings gar nicht.

Für euch bedeutet das, in 3 Bereichen zu denken:

  • Baulich: Die bauliche Barrierefreiheit umfasst nicht nur Türbreiten und Rampen. Auch Bewegungsflächen im Behandlungszimmer, kontrastreiche Beschilderungen oder höhenverstellbare Behandlungsstühle gehören dazu.
  • Kommunikativ: Patienten müssen nicht nur verstehen, was gemacht wird, sondern auch warum. Dabei ist es egal, ob sie Hörgeräte tragen, mit Fachbegriffen überfordert sind oder Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken. Barrierefreie Kommunikation heißt: einfache Sprache, klare Abläufe, offene Ohren für Rückfragen. Auch unterstützende Visualisierungen oder schriftliche Informationen können hier helfen.
  • Digital: Eure Praxis beginnt nicht erst an der Eingangstür. Auch wer euch googelt, eure Website nutzt oder online Termine vereinbaren will, stößt eventuell auf Barrieren.

 

Rechtliche Grundlagen

 

Ihr wollt wissen, ob eure Praxis barrierefrei sein muss und was genau das für euch bedeutet? Gute Nachricht: Die rechtliche Lage lässt sich herunterbrechen; und mit dem richtigen Blick auf euren Praxisalltag wird schnell klar, dass es oft gar nicht die großen Umbauten sind.

Rechtliche Lage im Überblick

Die Gesetzeslage ist ein ziemlicher Flickenteppich: Es gibt Bundesgesetze, Landesvorgaben und Normen – und natürlich immer wieder Ausnahmen.

Grundsätzlich gilt: Zahnarztpraxen gehören zu den öffentlich zugänglichen Gebäuden und damit greift die Pflicht zur Barrierefreiheit. So steht es in § 50 Absatz 2 der Musterbauordnung (MBO): „Die dem allgemeinen Besuchsverkehr dienenden Teile öffentlich zugänglicher baulicher Anlagen sind barrierefrei zu gestalten.“

Auch das Behindertengleichstellungsgesetz macht deutlich: Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit Behinderung Räume, Informationen und Dienstleistungen in der üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzen können.

Die DIN 18040-1 wiederum legt die konkreten technischen Anforderungen für öffentlich zugängliche Gebäude fest, also auch für Zahnarztpraxen. Dazu zählen zum Beispiel Türbreiten, Bewegungsflächen, Rampen, taktile Leitsysteme oder die Gestaltung von Sanitärräumen.

Wann ist Barrierefreiheit Pflicht?

Ob ihr wirklich verpflichtet seid, eure Praxis barrierefrei zu gestalten, hängt stark vom baulichen Status eurer Räumlichkeiten ab:

  • Neubau: Ganz klar: hier ist Barrierefreiheit verpflichtend. Wenn ihr neu plant oder baut, müsst ihr die Vorgaben der DIN 18040-1 einhalten.
  • Umbau oder Nutzungsänderung: Auch hier kann die Pflicht greifen – und zwar dann, wenn sogenannte „wesentliche Änderungen“ vorgenommen werden. Das kann z. B. ein Anbau sein, ein neuer Sanitärbereich oder wenn ihr ein früheres Ladenlokal zur Zahnarztpraxis umfunktioniert. Was genau als „wesentlich“ gilt, regeln die Landesbauordnungen.
  • Bestandsschutz: Für bestehende Praxen ohne Umbau besteht keine Pflicht zur baulichen Anpassung. Aber: Auch wenn es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, lohnt es sich für eure Patienten genauso wie für das Image eurer Praxis. Und es gibt Förderprogramme, die genau das unterstützen (mehr dazu später).

 

Was bedeutet das konkret in der Praxis?

 

Junger und sportlicher Mann im Rollstuhl schaut zurück und lacht Frau an, die den Rollstuhl schiebt Barrierefreiheit heißt nicht, dass ihr gleich den Grundriss eurer Praxis komplett neu denken müsst. Oft sind es die kleinen Veränderungen mit großer Wirkung: Ein stufenloser Zugang, rutschfeste und kontrastreiche Bodenbeläge, ausreichend Platz zum Rangieren im Rollstuhl, klar erkennbare Leitsysteme oder ein höhenverstellbarer Behandlungsstuhl. All diese Maßnahmen helfen Menschen, sich in eurer barrierefreien Zahnarztpraxis barrierearm zu bewegen.

Wenn ihr mit euren Patienten redet, sollten sie euch auch verstehen. Sprecht am Empfang klar, erklärt Behandlungsschritte anschaulich und schult euer Team im Umgang mit Menschen, die schlecht hören oder kognitive Einschränkungen haben. So schafft ihr Vertrauen und reduziert Unsicherheiten.

Ganz wichtig: Ihr müsst nicht alles perfekt machen. Eine hundertprozentig barrierefreie Zahnarztpraxis ist eine Illusion. Ihr könnt gar nicht auf jede einzelne Barriere Rücksicht nehmen. Deshalb sprechen viele Experten von einer „barrierearmen“ Praxis. Jede Maßnahme, die Hürden abbaut, bringt euch und euren Patienten einen Schritt weiter.

Digitale Barrierefreiheit

 

Häufig finden neue Patienten eure Praxis, wenn sie sich im Internet über lokale Zahnarztpraxen erkundigt haben. Über eine Suchmaschine gelangen sie auf eure Website und machen sich mit eurem Leistungsangebot vertraut. Das heißt, dass Menschen mit Behinderungen auch digital auf Hürden stoßen, wenn euer Online-Auftritt nicht optimiert ist.

Bisher war digitale Barrierefreiheit vor allem für öffentliche Stellen Pflicht. Das ändert sich mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es verpflichtet ab dem 28. Juni 2025 auch viele private Anbieter, ihre digitalen Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. Darunter fallen auch zahlreiche Angebote aus dem Gesundheitsbereich. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ihr weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigt und/oder weniger als 2 Millionen Euro Jahresumsatz macht. Treffen beide Kriterien nicht zu, seid ihr vom BFSG betroffen. Falls ihr ein Kontaktformular zur Verfügung stellt oder ein Online-Buchungssystem nutzt, müssen sie die Kriterien einer barrierefreien Website erfüllen.

Ein älterer Mann und eine ältere Frau sitzen zusammen auf dem Sofa und lächeln beide auf ein Tablet

Technische Grundlage ist die sogenannte BITV 2.0 (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung). Sie gibt vor, wie Websites und digitale Anwendungen gestaltet sein müssen, damit sie auch für Menschen mit Behinderungen nutzbar sind. Die Grundvoraussetzung ist, dass User die Website ausschließlich per Tastatur bedienen können.

All das klingt erst mal sehr technisch. Und das ist es zum Teil auch. Deshalb lohnt es sich, hier mit Experten für digitale Barrierefreiheit zusammenzuarbeiten. Agenturen oder Dienstleister, die sich mit der BITV auskennen, können euch gezielt unterstützen.

Was passiert, wenn ihr das Thema ignoriert? Zum einen drohen hohe Geldstrafen. Zum anderen verschenkt ihr wertvolles Potenzial: Eine barrierearme Website wirkt modern, professionell und benutzerfreundlich. Und davon profitieren letztlich alle – nicht nur Menschen mit Einschränkungen.

Förderprogramme und finanzielle Unterstützung

 

Barrierefreiheit kostet Geld, keine Frage. Aber: Ihr müsst diese Investitionen nicht allein schultern. Es gibt zahlreiche Förderprogramme, mit denen ihr bauliche Maßnahmen, technische Anpassungen oder auch digitale Barrierefreiheit zumindest teilweise finanzieren könnt. Einige dieser Programme sind bundesweit verfügbar, andere auf Landes- oder Kommunalebene angesiedelt.

Bundesweite Programme

Eine der wichtigsten Anlaufstellen ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Dort gibt es z. B. den ERP-Gründerkredit – Universell oder Programme zur Unternehmensmodernisierung, mit denen sich auch Maßnahmen zur Barrierefreiheit finanzieren lassen. Die Konditionen sind meist attraktiv: niedrige Zinsen, tilgungsfreie Anlaufzeit, lange Laufzeiten.

Auch Aktion Mensch fördert bauliche Anpassungen und Investitionen in barrierefreie Praxisgestaltung – vor allem dann, wenn ihr zusätzlich gesellschaftliches Engagement zeigt oder z. B. einen inklusiven Ansatz verfolgt. Die Förderhöhe kann dabei je nach Projektgröße mehrere zehntausend Euro betragen.

Landes- und kommunale Förderungen

Einige Bundesländer und Städte haben Programme aufgelegt, um gezielt Praxen bei der Barrierefreiheit zu unterstützen. 3 Beispiele:

  • Sachsen unterstützt mit dem Programm „Lieblingsplätze für alle“ auch medizinische Einrichtungen. Gefördert werden z. B. der barrierefreie Umbau von Eingangsbereichen oder WCs.
  • In Schleswig-Holstein können Einzelpraxen bis zu 30.000 Euro für investive Vorhaben beantragen, wenn damit Barrierefreiheit geschaffen oder verbessert wird.
  • Die Stadt München fördert barrierefreie Umbauten mit bis zu 20.000 Euro pro Praxis – explizit auch bei Bestandsgebäuden.

Welche Möglichkeiten es in eurem Bundesland oder eurer Kommune gibt, erfahrt ihr oft über die Landeszahnärztekammer, das Gesundheitsamt oder Förderbanken der Länder (z. B. NRW.BANK, L-Bank BW).

Tipps zur Antragstellung und Planung

Damit die Förderung nicht zur Zettelwirtschaft wird, lohnt sich ein strukturierter Einstieg. Einige Punkte helfen euch, die Hürden gering zu halten:

  • Frühzeitig informieren: Viele Programme verlangen eine Antragstellung vor Beginn der Maßnahme.
  • Dokumentation ist alles: Haltet Planungen, Angebote und die geplanten Maßnahmen möglichst detailliert schriftlich fest.
  • Beratung nutzen: Viele Förderstellen bieten eine kostenlose Erstberatung an – oft auch telefonisch oder online.
  • Nicht aufgeben: Selbst wenn ein Programm nicht passt: Es gibt häufig Alternativen auf Landes- oder Stiftungsebene.

Und vielleicht das Wichtigste: Lasst euch nicht von Formularen abschrecken. Die Investition in eine barrierefreie Zahnarztpraxis rechnet sich nicht nur gesellschaftlich, sie kann sich auch wirtschaftlich lohnen. Und mit der richtigen Förderung sinkt eure finanzielle Einstiegshürde deutlich.

Der Marketinghebel

 

Eine barrierefreie Zahnarztpraxis ist ein echter Wettbewerbsvorteil. Warum? Weil sich die demografischen Rahmenbedingungen verändern – und damit auch die Erwartungen eurer (zukünftigen) Patienten. Die Zahl älterer Menschen steigt seit Jahren kontinuierlich. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für Inklusion, Selbstbestimmung und Gleichbehandlung. Das Thema betrifft damit nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Familien, chronisch Erkrankte oder Menschen mit Sprachbarrieren. Eine barrierefreie Zahnarztpraxis signalisiert: Hier seid ihr willkommen. Wir haben mitgedacht.

💡Tipp: Lasst euch ins Verzeichnis barrierefreier Zahnarztpraxen der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) eintragen, wenn ihr die Anforderungen erfüllt. Dort sind barrierefreie Praxen gelistet. Menschen, die auf eine barrierearme oder -freie Praxis angewiesen sind, finden hier die richtigen Kontaktdaten.

Fazit

 

Kurz gesagt: Barrierefreiheit zahlt sich aus – menschlich, rechtlich und wirtschaftlich. Sie ist kein Projekt für später. Sie ist eine Haltung, die ihr mit jeder Entscheidung zeigen könnt, die eure Praxis zugänglicher, verständlicher und einladender macht. Die gesetzlichen Vorgaben schaffen den Rahmen. Der eigentliche Impuls kommt von euch und von eurem Anspruch, niemanden auszuschließen.

Und mal ehrlich: Es gibt kaum ein besseres Signal an eure Umgebung als eine Praxis, die sagt: Wir sehen euch. Wir denken mit. Und wir öffnen unsere Türen für alle.

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.